Jeder Mensch ist anders – genauso wie jede Körperregion. Auf der Kopfhaut, im Mundraum oder in den Achsel­höhlen leben jeweils bestimmte Ansammlungen von Mikro­organismen – ihre Gesamtheit nennt man Mikrobiom. Um dieses in der Produktentwicklung zum Beispiel für Anti-Schuppen-Shampoos, Mundwasser und Deodorants einzubeziehen, hat Symrise seit einigen Jahren die Forschung in diesem Bereich stark ausgebaut.

INNOVATION UND ENTWICKLUNG

Zu Versuchsbeginn steht für die Labormitarbeiterin Jessica Grieger eine Aufgabe an, die für den Laien – vorsichtig gesagt – unüblich erscheint. Sie nimmt morgens die Speichelproben einer ganzen Reihe von Symrise Kolleginnen und Kollegen entgegen, die diese zuhause in ein Röhrchen gegeben haben. Erst danach dürfen die freiwilligen Spender und Spenderinnen ihre Zähne putzen. Im Labor für Mikrobiologie in Holzminden mischt Jessica Grieger die Probe und verteilt die Flüssigkeit auf 96 kleine Reaktionsgefäße, die auf einer durchsichtigen Kunststoffplatte angeordnet sind. Als Deckel kommt eine Platte mit 96 weißen Kunststoffzähnchen drauf, die mit Hydroxylapatit beschichtet sind, einem natürlichen Bestandteil von Zähnen.

Am nächsten Tag wird der Speichel entsorgt. Mittlerweile hat sich auf den Zähnchen ein Biofilm abgesetzt – eine sichtbare Schleimschicht, die von Mikroorganismen gebildet wurde. Jessica Grieger, die sich nebenberuflich zur Biotechnikerin weitergebildet und auch einen Bachelor of Science in Molekularbiologie abgeschlossen hat, zieht ein Nährmedium in eine Mehrkanal-Pipette. Sie füllt die Substanz vorsichtig und präzise, aber dennoch schnell in die Gefäße auf einer neuen Platte. Anschließend verschließt sie diese wieder mit demselben Deckel, sodass der Biofilm auf den Zähnchen weiter genährt werden kann.

Nach zwei Tagen ist die Versuchsvorbereitung fertig. Die ehemals weißen Kunststofferhebungen sind leicht gelblich geworden und riechen streng nach dem, was Menschen Mundgeruch nennen. Das alles ist beabsichtigt. „Wir haben mit dem Modell die Mundflora nachempfunden, die aus vielen verschiedenen Mikroorganismen wie Bakterien, Viren und Pilzen besteht“, beschreibt Christin Koch das Verfahren, bei dem schließlich die Wirkung verschie­dener Testsubstanzen und Produkte auf Bakterien im Biofilm analysiert wird. Die promovierte Mikrobio­login leitet das Labor, in dem in den vergangenen Jahren ein innovativer Schwerpunkt entwickelt wurde: Die Forschung und Entwicklung von Molekülen, die am sogenannten Mikrobiom ansetzen.

Christin Koch leitet das Labor in Holzminden, das das Mikrobiom erforscht. Symrise kann so neue Wege in der Produktentwicklung gehen.

„Wir haben mit dem Modell die Mundflora nachempfunden, die aus vielen verschiedenen Mikroorganismen wie Bakterien, Viren und Pilzen besteht.“

Christin Koch
Leiterin des Labors für Mikrobiologie

Forschung nahe am Menschen

„Der Mensch hat an vielen Stellen des Körpers eigene kleine Ökosysteme, die sich stark voneinander unter­scheiden, die aber in ihrem komplexen und dynamischen Zusammenspiel das große Ökosystem Mensch bilden“, sagt die Wissenschaftlerin, die sich schon in ihrer Promotion mit dem Mikrobiom auseinandergesetzt hat. Die Forschung beschäftigt sich im Bereich der Körperpflegeprodukte traditionell damit, wie sich bestimmte Stoffe auf den Körper und die menschlichen Zellen auswirken, vor allem mit dem Ansatz, bestimmte Bakterien zu töten. Christin Koch hingegen konzentriert sich heute zunehmend auf das Gleichgewicht des menschlichen Mikrobioms.

Dessen Zusammenstellung verändert sich je nach Körperregion. Die Wissenschaftlerin vergleicht diese mit Ökosystemen auf der Erde: „Die Mundhöhle ist vielleicht wie ein Korallenriff, die Kopfhaut wie eine Blumenwiese, die Achselhöhle mit Schweiß und feuchter Haut wie ein üppiger Wald oder die trockene Haut an den Schienbeinen wie eine Wüste.“

Für die Forschung ist es deshalb wichtig, möglichst zielgenaue Produkte zu entwickeln, die nicht nur in vitro, also im Reagenzglas, sondern auch im echten Leben funktionieren – in vivo, wie es bei den Wissenschaftlern heißt. Die Versuchsplatte mit den Zähnchen und dem Speichel – also das ex-vivo-Biofilmmodell – zielt ebenso auf diesen Ansatz wie die Schweißmodelle, die das Unternehmen selbst entwickelte. „Dazu werden von unserem externen Kooperationspartner Männer in die Sauna geschickt, die dort ihren Schweiß sammeln, den wir wiederum in den Versuchen nutzen können“, schildert Christin Koch die Lebensnähe der Forschung.

Wassertropfen

70%
Der menschliche Körper besteht zu fast 70 % aus Wasser …

Menschliche Zelle

3 x 1013
… und aus etwa 3 x 1013 menschlichen Zellen.

Bakterien

3,8 x 1013
Noch höher ist die Anzahl der Bakterien. Geschätzt 3,8 x 1013 Stück bevölkern unseren Körper und bilden unseren Mikrobiom.

Dem Mikrobiom wohlgesonnen

Mit den Erkenntnissen aus der Mikrobiomforschung sind Produkte entweder neu- oder weiterentwickelt worden. Ein Beispiel dafür ist Crinipan® PMC Green, das den Pilz Malassezia in seinem Wachstum hemmt. Dieser Pilz wächst auf der Kopfhaut und kann dort für Schuppen sorgen. Dabei ist er auf natürlich vorkommende Fette angewiesen, die er nicht selbst produzieren kann. Das Produkt, das aus erneuerbaren Rohstoffen gewonnen wird, bedient sich eines „Tricks“, wie Christin Koch es nennt: „Malassezia spaltet auf der Kopfhaut vorhandene Fettmoleküle auf, um sich zu ernähren. Diese Enzyme spalten auch unser Crinipan® PMC Green, die antimykotische Caprylsäure wird freigesetzt – ein Anti-Pilz-Mittel.“ Malassezia dezimiert sich also selbst, sodass das Mikrobiom im Gleichgewicht bleibt.

Im Bereich der Deodorants hat Symrise den mikrobiomfreundlichen Stoff SymDeo® B125 entwickelt. Er kann zum Beispiel das stark antimikrobiell wirkende Triclosan ersetzen, das zwar den Geruch von Schweiß verhindert, aber auch nützliche Bakterien tötet. Und zugunsten einer ausgewogenen Mundflora hat das ex-­vivo-Biofilm-Modell dabei geholfen, Produkte wie Optafresh® D und SymReboot™ OC / Optabiotics®24 vom Labor bis zur Marktreife zu bringen. Das erste bekämpft selektiv Bakterien, die für Mundgeruch ver­antwortlich sind, und verstärkt gleichzeitig die positiv auf das Mundmikrobiom wirkenden Bakterien, während das zweite die Zahnfleischgesundheit unterstützt.

Dass die Mikrobiomforschung in ihrer heutigen Form möglich ist, verdankt sie vor allem dem technischen Fortschritt. In den Anfängen der 1990er-Jahre gab es zwar die ersten Technologien zur DNA-Sequenzierung des Mikrobioms, allerdings sind diese aus Preisgründen erst seit zehn Jahren in der Breite nutzbar. „Heute können die Labore, denen wir unsere Proben übermitteln, riesige Datenmengen in kürzester Zeit erzeugen und auswerten“, erzählt Christin Koch.

Heute können die Labore, denen wir unsere Proben übermitteln, riesige Daten­mengen in kürzester Zeit erzeugen und auswerten.Christin Koch, Leiterin des Labors für Mikrobiologie

Internationale Vernetzung

Symrise hat in den vergangenen Jahren viel in die Mikrobiomforschung investiert, die auch bereichsübergreifend läuft. Denis Guyonnet von Diana Nova zeigt, wie Polyphenole aus Gemüse und Früchten positiv auf das Darmmikrobiom wirken. Die sekun­dären Pflanzenstoffe stammen erstens aus Früchten wie Cranberrys, die reich an Polyphenolen sind, zweitens aus den Seitenströmen von Obst und Gemüse, wie zum Beispiel Schalen oder Trester, erklärt der Innovationsmanager. Dabei führt Symrise eine standardisierte Extraktion durch, um ein Produkt mit spezifischen Polyphenolen herzustellen, da sich die einzelnen Polyphenole von Frucht zu Frucht stark unterscheiden.

Denis Guyonnet setzt aber nicht nur auf die Forschung im Konzern. Seine Aufgabe ist es auch, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit externen Forschenden von Hochschulen zu verknüpfen. Das Projekt mit den Polyphenolen läuft seit 2018 in Kooperation mit der Universität von Laval (INAF) im kanadischen Québec, andere Forschungsinitiativen wurden mit europäischen Experten von Weltrang in den Bereichen Mikrobiologie, Gastroenterologie und Polyphenole gestartet. „Wir arbeiten in zwei Richtungen: Auf der einen Seite wollen wir herausfinden, wie die Polyphenole auf die Pathogene, also die schlechten Bakterien wirken. Auf der anderen Seite wollen wir erforschen, wie sie die guten Bakterien stimulieren“, sagt Denis Guyonnet.

Beide Gruppen von Bakterien spielen eine Rolle bei der Darmgesundheit, so die Erkenntnis des Forschers, der eng mit der Entwicklungsgruppe rund um Christin Koch zusammenarbeitet. „Im Rohzustand können die Polyphenole nicht absorbiert werden. Die Bakterien im Darm aber können sie in kleine Moleküle spalten und so ihre  entzündungshemmenden und antioxi­dativen Fähigkeiten hervorbringen“, erklärt Denis Guyonnet. Außerdem wirken sie gegen die pathogenen Bakterien. Dabei betont er, dass sich die Mikro­biome der Menschen voneinander unterscheiden und die komplexe Forschung weitere Untersuchungen benötigt. Im Rahmen des fünf Jahre laufenden Programms sollen deswegen nach den vielversprechen­den In-vitro-Studien nun bald die klinischen Studien durchgeführt werden.

Gemeinsam mit dem schwedischen Biotechnologie Unternehmen Probi, an dem Symrise beteiligt ist, forscht er auch an innovativen synbiotischen Produkten, die lebende Mikroorganismen enthalten. „Diese lebendigen Bakterien können dann direkt die Polyphenole aus den Früchten aufspalten und die Wirkstoffe freisetzen“, sagt Denis Guyonnet. Auch dafür arbeitet er wieder mit den Kollegen in Holzminden zusammen. „Wir profitieren von der Expertise im ganzen Konzern – das ist sehr effizient, weil wir nur kurze Wege haben und nach den gleichen Qualitätsstandards arbeiten können. Und wir können auf das breite natürliche Portfolio im ganzen Haus zugreifen, was uns sehr viele Möglichkeiten gibt.“