Symrise arbeitet jedes Jahr an Hunderten von Riechstoffkombinationen für Parfüms, Shampoos, Haushaltsreiniger oder Waschmittel. Ein ent­scheidender Bestandteil sind patentierte Duftbau­steine, die sogenannten Captives. Diese neuen Verbindungen müssen seit jeher olfaktorisch un­verwechselbar sein, zudem erneuerbar und nach­haltig. Sie können aus Seitenströmen anderer Branchen stammen und sollten zudem biologisch abbaubar sein. Vor allem aber müssen sie intensiv genug sein, um einer Komposition auch in kleinster Dosierung ihren Stempel aufzudrücken. Damit schützen sie die gesamte Duftkomposition und sichern nachhaltig den Geschäftserfolg von Symrise.

INNOVATION UND ENTWICKLUNG

Wer sich mit Parfüms beschäftigt, ist nicht an der „Pacollection“ des spanischen Modeschöpfers Paco Rabanne vorbeigekommen, insbesondere an dem Unisex-Duft „Crazy Me“. Dieser riecht nach Mimose und Wasabi, dem japanischen Meerrettich. Entwickelt hat ihn die Symrise Senior-Parfümeurin Aliénor Massenet, die den Wasabi-Akkord gezielt um die Verbindung Spicatanate® aufgebaut hat. Dessen Geruch erinnert in Reinform, man mag es kaum glauben, neben Krauseminze (Mentha spicata L., woher auch der Name stammt) auch an Knoblauch oder Zwiebel. Allerdings macht genau das seine Stärke aus: In der Kombination mit anderen Stoffen gibt er Kompositionen Fülle, Frische und Fruchtig­keit – und hier die Schärfe von Wasabi. Der Ursprung von Spicatanate® ist ebenfalls etwas Besonderes. Die Verbindung wurde aus Seitenströmen der Orangensaftindustrie entwickelt – genauer gesagt aus den Schalen der Früchte. Mit einem Anteil von gerade einmal 0,001 % im Parfümöl entfaltet es bereits große Wirkung.

Verbindungen wie Spicatanate® heißen in der Fachsprache Captives. Für Symrise sind sie besonders wichtig. „Die meisten Duftstoffe, die wir in unseren Formulierungen an die Kunden verkaufen, sind Commodity-Produkte. Die Bestandteile liegen offen, jeder könnte sie nutzen und die Verbindungen auf dem Markt kaufen oder sogar selbst herstellen“, erklärt Sarah Maria Kollenberg. Captives hingegen sind Duftstoffe, die nur Symrise entwickelt und patentiert hat und damit für 20 Jahre auch als einziges Unternehmen einsetzen darf. „Ein ganzes Parfüm, das wir entwickelt haben, ist dann geschützt, wenn wir mit dem Captive eine Note eingebracht haben, die für Symrise charakteristisch und nicht einfach mit anderen Kombinationen nachzubilden ist“, sagt Sarah Maria Kollenberg, die als Director New Ingredients Management die Prozesse begleitet, optimiert und die Bewertung der Verbindungen im Konzern vorantreibt.

Manche der Captives haben dabei eine sehr hohe Effizienz. Sie werden im Promillebereich eingesetzt, um Düfte zu verfeinern. Andere können aber auch als Füller 10 % bis 20 % der Mischung einnehmen und für Volumen sorgen. Captives sind Reinstoffe, im Gegensatz etwa zu ätherischen Ölen aus der Natur. Sie werden heute nach Möglichkeit durch komplexe Prozesse nach den Prinzipien der Grünen Chemie aus Seitenströmen anderer Branchen gewonnen. Spicatanate® etwa stammt aus D-Limonen, einem Abfallstoff aus der Orangensaftproduktion. Pearadise®, das nach Birne riecht, wurde aus Nebenströmen von fermentiertem Mais entwickelt. Und Rohsulfat-Terpentinöl, das bei der Papierproduktion als natürlicher Bestandteil von Pinienholz anfällt, ist das Startmaterial für eine neue Symrise Verbindung, die kurz vor dem Abschluss der Entwicklung steht. Es bringt mit einem kienig-krautig-grünen Duft eine weitere Facette in das Portfolio nachhaltiger Captives von Symrise.

Die Entwicklung von Captives hat mehrere Grundlagen, die bei Symrise schon traditionell verortet sind. „Wie schon ganz am Anfang unserer Unternehmensgeschichte geht es oft darum, Alternativen zu teuren oder seltenen Stoffen zu finden“, spielt Dr. Nikolas Bugdahn auf die Erfindung des Vanillins an, durch das viele Menschen erstmals den Geschmack von Vanille kennenlernten. Zudem wird die Forschung von den Technologien inspiriert, die Symrise einsetzt, sagt der Leiter der Syntheselabore, in denen die Captives entstehen. „In Jacksonville zum Beispiel nutzen wir Seitenströme aus der Papierindustrie, in denen wir Bausteine finden, die attraktiv für Parfümeure sind“, ergänzt Laborleiter Dr. Philip Kraft, der damit auch auf die Aspekte der Kreislaufwirtschaft anspielt. Mit deren Hilfe werden zunächst eher wertlose Abfallstoffe zu werthaltigen Produkten. Eine weitere Motivation: Captives können auch Trends in der Parfümerie setzen, indem sie biologisch nicht abbaubare oder nicht erneuerbare Riechstoffe ablösen.

„In Jacksonville zum Beispiel nutzen wir Seitenströme aus der Papierindustrie, in denen wir Bausteine finden, die attraktiv für Parfümeure sind.“

Dr. Philip Kraft
Laborleiter

Dr. Nikolas Bugdahn leitet die Syntheselabore bei Symrise, in denen die Captives entstehen.

Das bedeutet eine Menge Arbeit. Die Entwicklung dauert – wenn es schnell geht – mindestens drei Jahre, oft sind es aber eher sechs bis sieben. Am Anfang steht immer das Syntheselabor. Die Chemiker schauen sich mehrere Hundert Moleküle an und bewerten diese. „Aus einem strukturierten Prozess entstehen so drei bis vier neue Moleküle pro Jahr“, sagt Laborleiterin Franziska Elterlein. Das klingt erst einmal nicht viel, allerdings werden die Captives in Hunderten bis Tausenden Rezepten eingesetzt, vom Shampoo über Waschmittel bis hin zur Feinparfümerie.

„Die Synthese ist ein aufwändiger Prozess und funktioniert nicht unbedingt immer auf Anhieb.“

Dr. Franziska Elterlein
Laborleiterin

„Wir planen unsere Forschung, lesen Patentliteratur, überlegen uns gemeinsam, welche chemischen Strukturen Sinn ergeben“, erklärt Philip Kraft, der seit mehr als 25 Jahren Erfahrung in der Forschung und Entwicklung hat. „Dazu müssen wir immer auch die Kosten im Blick behalten. Die Synthese ist ein aufwändiger Prozess und funktioniert nicht unbedingt immer auf Anhieb.“ Gleichzeitig kann der Designprozess auch Überraschungen bereithalten. „Man kann vor der Synthese nicht genau wissen, wie ein Stoff riechen wird. Daher arbeiten wir auch mit Versuch und Irrtum, um neue Ideen zu bekommen“, ergänzt Franziska Elterlein. Beim Entwicklungsprozess kommt es immer wieder auch auf die Zusammenarbeit im Konzern an. „Wir lassen die Verbindungen zum Beispiel von unseren Kollegen in der Analytik untersuchen“, sagt Philip Kraft. Bestimmte Nebenkomponenten sind für den Hauptgeruch verantwortlich, weil ihre Schwellenwerte niedriger sind als die der Hauptkompo­nenten. Die Stoffe müssen deswegen aufwändig genau analysiert werden, damit auch die richtige Verbindung patentiert wird.

Das Team evaluiert die Moleküle in einer olfaktorischen Analyse.

„Es ist unser strategisches Ziel, mit den Captives unsere Produkte zu schützen.“

Sarah Maria Kollenberg
Director New Ingredients Management

Wenn die Verbindungen alle Prüfungen bestanden haben, werden sie in den verschiedenen Geschäftseinheiten vorgestellt, um über den Launch als Captive oder Spezialität zu entscheiden. Parallel zu diesen Schritten läuft der Prozess der Patentierung. Interessant ist auch, dass nicht jeder entwickelte Stoff als Captive ins Portfolio aufgenommen wird. „Für manche sehen wir oder die Geschäftseinheiten noch keinen Bedarf“, sagt Nikolas Bugdahn. Manche Erfolgsgeschichten schreiben sich erst später. Die Verbindung Lilybelle® etwa, die wie Spicatanate® aus D-Limonen gewonnen wird, lag mehrere Jahrzehnte im Archiv. „Die Kollegen haben es vor fast 40 Jahren entwickelt, es aber nicht weiterverfolgt, weil es auf einer fünfstufigen Synthese beruhte“, erklärt Philip Kraft. „Diese war damals noch nicht umsetzbar.“ Heute ist sie das, und die Verbindung mit der floralen Maiglöckchen-Note wird erfolgreich als Spezialität von Symrise vertrieben und in einfachen Haushaltsreinigern und hochklassigen Parfüms gleichermaßen eingesetzt.

Die Prozesse sind aufwändig, aber sie lohnen sich. Das sieht man auch daran, dass Symrise die Anzahl der Captives und deren Nutzung kontinuierlich steigert. Als „Symrise Signatur“ wurden sie Anfang 2018 noch in 7 % aller Formulierungen eingesetzt – mittlerweile findet man sie in über 50 %. „Es ist unser strategisches Ziel, mit den Captives unsere Produkte zu schützen“, sagt Sarah Maria Kollenberg. „Daran arbeiten unsere Synthese-Labore und das Team New Ingredients Management mit Hochdruck.“

Ist die Verbindung gefunden, wird sie bei der ersten Evaluierung zunächst in zehnprozentiger Verdünnung als Reinstoff, anschließend in Anwendungen wie Duftmischungen oder Cremes gerochen. „Diejenigen, die etwa zu schwach oder sogar unangenehm in der Komposition riechen, entwickeln wir natürlich nicht weiter“, sagt Nikolas Bugdahn. Nach der olfaktorischen Bewertung wird eine Preisabschätzung gegeben, um zu ermitteln, mit welchem Kosten-Nutzen-Verhältnis die Riechstoffe effektiv in einer Komposition eingesetzt werden können. Außerdem werden die Riechstoffe auf ihre Erneuerbarkeit und Bioabbaubarkeit geprüft. Kurz vor Schluss des Prozesses, wenn von den Hunderten entwickelten Verbindungen gerade einmal noch etwa 20 übrig sind, werden die Parfümeure im Konzern intensiv einbezogen. Neben den Experten in Holzminden, von denen einige auch schon zuvor beteiligt waren, bekommen nun 15 Parfümeure in der ganzen Welt, von Singapur über São Paulo und New York bis nach Paris, die Captives zugeschickt. „Dazu gehören auch Anwendungsbeispiele etwa in Duftmischungen und in verschiedenen Dosierungen“, erzählt Sarah Maria Kollenberg.

Die durch das globale Parfümeurs-Team favorisierten Stoffe untersuchen Toxikologen dann eingehend daraufhin, ob sie eventuell negative Effekte auf Mensch oder Natur besitzen, die im Design der Verbindungen noch nicht berücksichtigt wurden. Durch eine Vielzahl von Tests werden Daten über den Stoff und seine Wirkung gesammelt, um Registrierungen in Ländern und Regionen anhand hoher Standards durchführen zu können. Ganz zum Schluss überlegt sich das Team gemeinsam mit der Fertigung, wie das Captive im großen Maßstab produziert werden kann. „Auch das ist nicht einfach, weil manche Stoffe in der Massenproduktion zum Beispiel andere olfaktorische Ergebnisse bringen“, sagt Philip Kraft.

Sarah Maria Kollenberg begleitet als Director New Ingredients Management die Prozesse.