Der Forschungsbereich Agroscience, den Symrise im Jahr 2017 gegründet hat, beschäftigt sich mit neuen Anbau-, Ernte- und Verarbeitungsmethoden von pflanzlichen Rohstoffen. Das Team setzt dabei auf eine Vielzahl von Herangehensweisen, kombiniert diese mit dem Know-how anderer Bereiche – und arbeitet an einer Landwirtschaft der Zukunft mit, von der das Unternehmen stark profitieren wird. 

INNOVATION UND ENTWICKLUNG, KLIMA

Mit Schwung bewegt Esther-Corinna Schwarze den Hebel nach rechts, öffnet die hohe Tür der Klimakammer und tritt einen Schritt zur Seite. Warme Luft dringt nach draußen. In dem kleinen, hell erleuchteten Raum stehen Kultivierungscontainer, aus denen sich grüne Pflanzen an Rankhilfen zwei Meter nach oben winden. „Das ist alles Vanille, allerdings unterschiedliche Arten oder Genotypen“, sagt die Master-Technologin für AgroScience bei Symrise und blickt auf die verschlungenen Pflanzen, an denen tiefgrüne Blätter wachsen. Dann verschließt sie die Tür wieder, die Temperatur im Container soll möglichst nicht absinken. In der Klimakammer direkt nebenan wächst Parakresse. Auch hier ein ähnliches Bild, nur eine Nummer kleiner: Unter LED-Beleuchtung entwickeln sich hier kniehohe Pflanzen, die durch ihre gelben, fast eiförmigen Blütenstände auffallen. 

Die beiden Klimakammern, ein größeres Gewächshaus und ein weiterer Container stehen am Rande des Symrise-Werkes in Holzminden, direkt neben dem Büro von Esther-Corinna Schwarze. Sie leitet eine recht neue Forschungs- und Entwicklungsabteilung in der Geschäftseinheit Food & Beverage: den Bereich AgroScience, der im Jahr 2017 gegründet wurde. Mit einem Team von drei Kollegen arbeitet sie unter anderem daran, neue Pflanzen und Anbaumethoden zu erforschen und das Wissen in die Anwendung zu übertragen.

Die Arbeit von Esther-Corinna Schwarze hat gleich mehrere Ansatzpunkte. Symrise hat an vielen Stellen seine Wertschöpfungskette rückwärts integriert, zum Beispiel bei der Vanille auf Madagaskar oder bei der Zwiebel in der Region rund um Holzminden. „Wir arbeiten eng mit den Landwirten zusammen, die für uns ganz spezifische Sorten in klar definierten Qualitäten und zu einem bestimmten Preis anbauen“, sagt Esther-Corinna Schwarze. Damit das auf den Punkt funktioniert, muss Symrise die Pflanzen und ihren Anbau verstehen. Das gilt aber nicht nur für die bestehenden Kooperationen. Wir werden auch in Zukunft neue Pflanzen anbauen lassen, die wir besonders spannend finden. Dann hilft es uns, wenn wir die Pflanzen und ihre Bedürfnisse verstanden haben“, sagt Esther-Corinna Schwarze. „So können wir unser Wissen an die Landwirte weitergeben und zu besseren Ergebnissen kommen.“

Ein Beispiel dafür könnte die Parakresse sein, die vor allem in Brasilien wächst und dort unter dem Namen Jambú bekannt ist. „Sie wird zum Würzen von Speisen verwendet, vor allem aber als Heilpflanze, zum Beispiel bei Zahnschmerzen“, sagt Esther-Corinna Schwarze. Die Parakresse wirkt leicht betäubend und erzeugt ein Kribbeln im Mund. „Wir könnten diesen Effekt zum Beispiel in der Mundpflege anwenden oder unerwünschte Wirkungen in bestimmten Lebensmitteln maskieren.“ Ein Ziel könnte auch sein, die Parakresse, die momentan nur auf Feldern in den Tropen wächst, im Indoor Farming zu kultivieren. „Das ist auch in den Erzeugerländern denkbar. Dann könnten wir eine deutlich höhere Qualität erzielen, die Pflanze ganzjährig anbauen und vielleicht sogar mehrmals im Jahr ernten“, sagt Esther-Corinna Schwarze. In der Forschung testet sie dafür zum Beispiel unterschiedliche Pflanzerden und -substrate, Dünger und Lichteinstellungen. Sie analysiert das Wurzelwachstum, um es zu beschleunigen, und bewertet auch unterschiedliche Ernte- und Verarbeitungsmethoden. „Wir testen, welche Inhaltsstoffe wir aus frischen oder getrockneten Bestandteilen erhalten und wie sich diese auf Blüten, Blätter und Stiele verteilen.“

Indoor Farming ist für Symrise besonders wichtig. „Das Thema hat in den 2010er-Jahren einen Schub bekommen, weil das benötigte Licht durch die Entwicklung der LED-Technologie bezahlbar geworden ist“, sagt Dr. Jakob Ley. „Wir beschäftigen uns schon länger damit und konzentrieren uns momentan auf circa 10 Pflanzenarten, die bisher nur selten kultiviert werden oder nur in den Tropen wachsen“, erklärt der Director Research Biobased Ingredients. Neben der Agroscience verantwortet er noch vier weitere Forschungsbereiche. „So können wir auch eher ungewöhnliche Arten direkt hier in Holzminden anbauen und analysieren.“ 

Wir arbeiten eng mit den Landwirten zusammen.

Esther-Corinna Schwarze,
Master-Technologin für AgroScience

Eine Herausforderung war dabei, überhaupt Pflanzenmaterial zu bekommen. „Das Nagoya-Protokoll schützt zu Recht die Biodiversität, vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern. Gleichzeitig verhindert es die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen“, erklärt Ley. „Wir haben deswegen nur Nachkommen von Pflanzen hier, die nach den Nagoya-Regeln aus den Ursprungsländern beschafft werden oder schon vor Inkrafttreten des Protokolls 2014 in Europa verbreitet waren, zum Beispiel in Gärtnereien, im freien Handel, aber auch in Forschungseinrichtungen oder botanischen Gärten.“ Für die weitere Forschung zieht Symrise selbst Setzlinge heran. 

Von der Arbeit sollen später auch die Herkunftsländer profitieren, betont Ley. Das Team arbeitet zum Beispiel daran, besser zu verstehen, wann sich die Vanilleknospen zu Blüten öffnen. „Die Kleinbauern in Madagaskar müssen während der Saison jeden Morgen alle Pflanzen kontrollieren. Die Orchideen blühen nur einen Tag; in dieser Zeit muss der Bauer sie von Hand bestäuben“, beschreibt Ley die aufwändige Arbeit. „Wenn wir verstehen, wie dieser Prozess in der Pflanze funktioniert, wie wir ihn vorhersagen und vielleicht auch abkürzen können, wäre das eine große Hilfe.“ Symrise setzt auch auf Versuche, das Licht oder die Feuchtigkeit zu steuern. Die Forscher analysieren Blätter, Wurzeln und Stiele und versuchen, die Phytohormone besser zu verstehen, die als Signalmoleküle die Entwicklung der Pflanzen regulieren. Zudem untersucht das Team die Infektionen der Vanillepflanze mit Fusarium. Der Schlauchpilz ist für den Verlust von 30 % der Pflanzen in den Plantagen verantwortlich. „Wir machen Versuche mit verschiedenen Bewässerungsmethoden oder Substraten, die den Pilz am Wachsen hindern könnten“, sagt Ley. Die Erkenntnisse dieser Forschung sollen dann auch zu den Bauern nach Madagaskar transferiert werden. 

In Nährlösungen zieht Symrise aus Stängeln von Vanille-Pflanzen eigene Setzlinge. 

Wir beschäftigen uns schon länger mit Indoor Farming und konzentrieren uns momentan auf circa 10 Pflanzenarten, die bisher nur selten kultiviert werden oder nur in den Tropen wachsen.

Dr. Jakob Ley,
Director Research Biobased Ingredients

Wir haben eine lange Tradition darin, Naturstoffe zu veredeln.

Dr. Gerhard Krammer,
Leiter des Bereichs Research & Technology im Segment Taste, Nutrition & Health

Für Jakob Ley ist die AgroScience nicht mehr wegzudenken. Der Bereich arbeitet eng mit anderen Forschungsabteilungen zusammen. Aber auch Kooperationsprojekte mit Hochschulen oder anderen industriellen Partnern werden verfolgt. Man ergänzt sich mit Know-how und Geräten in der Analysentechnik. Auch für Dr. Gerhard Krammer gehört die AgroScience untrennbar zu Symrise. „Wir haben eine lange Tradition darin, Naturstoffe zu veredeln. Vor 150 Jahren haben wir das erste Vanillin aus Fichtenholz synthetisiert. Heute kaufen wir Naturstoffe rund um die Welt ein“, sagt der Leiter des Bereichs Research & Technology im Segment Taste, Nutrition & Health. Deswegen ist es für ihn naheliegend, auch im landwirtschaftlichen Bereich zu forschen. „Wenn wir die Züchtungsmethoden der Biotechnologie mit modernen Anbauverfahren kombinieren, können wir bessere Ernten und höhere Qualitäten erreichen. Außerdem vermeiden wir Abfall und entwickeln innovative Produkte – und werden dabei immer nachhaltiger.“ Krammer sieht das Indoor Farming dabei als einen Schlüssel. „Mit definierten Wachstumsumgebungen und moderner Analytik können wir viel strukturiertere Versuche unternehmen, um die besten Anbaubedingungen zu erarbeiten.“ Dabei gilt es, Fragen zu beantworten, wie verschiedene Pflanzenspezies kultiviert werden, wie man die Inhaltsstoffe dieser Pflanzen optimiert oder die Anbausaison ausdehnt.

Das Ziel ist dabei immer dasselbe. „Symrise nutzt momentan etwa 1.500 bis 2.000 botanische Rohstoffe, die vor allem extrahiert und weiterverarbeitet werden. Dabei ist es wichtig, Produkte mit besonderen Eigenschaften zu entwickeln, die unverwechselbar riechen, schmecken und wirken“, sagt Gerhard Krammer. Ein Beispiel ist dafür die Zwiebel. Symrise hat mit den Landwirten in der Region den Anbau so optimiert, dass der Extrakt bis nach Japan exportiert wird. „Wir haben einen sehr günstigen Rohstoff so spezifisch angebaut und in Rezepturen eingesetzt, dass er unverwechselbar ist.“ Die weitere Beschäftigung mit den Rohstoffen im Bereich AgroScience ist für Gerhard Krammer essenziell. „Wir bekommen so ein Alleinstellungsmerkmal, das uns nachhaltig erfolgreich macht.“ 

Erfolgreiches Experiment in Singapur

Wo der Platz knapp ist, baut man in die Höhe. Das funktioniert mit Pflanzen ebenso wie mit Hochhäusern. Salat, Kräuter oder Erdbeeren wachsen dabei in mehreren Ebenen übereinander unter künstlichem Licht und ohne Erde, die Nährstoffe bekommen sie in flüssiger Form. Das spart Platz: Ein Hektar Vertical-Farming-Fläche ersetzt zehn Hektar konventionellen Acker. Die Anbauweise könnte auf der einen Seite in Zukunft dabei helfen, die Menschen in Städten regional und nachhaltig zu ernähren. Auf der anderen Seite können die Pflanzen in kontrollierter Umgebung so angebaut werden, dass sie mehr wertvolle Inhaltsstoffe produzieren. 

Einen Versuch dazu hat das Symrise-Segment Scent & Care zusammen mit Taste, Nutrition & Health in Singapur angestoßen. Ein multidisziplinäres Team wählte Pflanzen aus, die schon zum Rohstoffportfolio von Symrise gehören oder in Zukunft interessant dafür sein werden. Saatgutgenetiker und Pflanzenagronomen brachten ihre Expertise ebenso ein wie Aroma- und Duftstoffwissenschaftler und Datenanalytiker. Das lokale Unternehmen VertiVegies steuerte das Know-how zum Vertikalanbau bei. Bei den Experimenten variierten zum Beispiel Lichtspektrum und -intensität sowie die Ernährung der Pflanzen, um den Einfluss auf ihre olfaktorischen und organoleptischen Eigenschaften zu beobachten. „Die Partnerschaft mit VertiVegies hat uns faszinierende neue Einblicke gegeben, wie wir in Zukunft Aroma- und Duftrohstoffe entwickeln könnten“, sagt Dr. Norbert Braun, Vice President Innovation & QC von Symrise Asia Pacific. „Außerdem haben wir viele Erkenntnisse gewonnen, wie das Farming der Zukunft aussehen kann. Manches davon können wir im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstrategie auch bei Kooperationen mit Kleinbauern in Asien nutzen.“