Gemeinsam mit IBM hat Symrise eine Methode entwickelt, die Parfümeuren bei der Duftkreation hilft. Mit Hilfe von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz werden die Formeln, die in der Datenbank des Duftherstellers gespeichert sind, analysiert und weiterentwickelt. Die ersten Ergebnisse des Projektes ­„Philyra“: Zwei Parfüme für den brasilianischen Kosmetikriesen O Boticário.

Die Parfümeurinnen und Parfümeure von Symrise müssen nicht nur einen besonderen Geruchssinn haben, besonders kreativ sein und die Welt der Düfte hervorragend kennen. Sie brauchen auch viel Geduld. Um die Komposition zu finden, die den feinen Unterschied bedeutet, durchlaufen sie oft zahlreiche Versuche, fügen Zutaten hinzu oder verändern ihre Menge. Das heißt etwa, sie müssen die Zusammensetzung ­variieren und dabei noch darauf achten, dass manche Duftmoleküle in einer Seife ganz anders als in einem Waschmittel oder einem teuren Parfüm reagieren. Einen Teil dieser Arbeit übernimmt nun Philyra – eine digitale Helferin, mit der Symrise die Duftentwicklung der Zukunft verändern wird.

Millionenschatz

Entstanden ist das Projekt aus dem Programm Future Generation, für das Symrise Nachwuchsführungskräfte aus dem gesamten Konzern zusammenbringt. In kleinen Teams entwickeln diese geschäftsbereichsübergreifend Projekte mit strategischer Bedeutung weiter. Ein Bereich betraf das Thema Big Data: Wie kann Symrise die vielen Daten, die in den Geschäftsfeldern erhoben und ausgewertet werden könnten, besser nutzen? Die jungen Führungskräfte diskutier­ten diese Frage mit verschiedenen Zulieferern, mit denen das Unternehmen im Bereich Digitalisierung zusammenarbeitet. Gemeinsam mit IBM entstand schließlich die Idee, Düfte mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz automatisiert zu kreieren.

Das klingt zunächst einfach, ist aber in der Praxis hochkomplex. „Wir haben rund zwei Millionen Formeln für Duftmischungen in unserem System, von denen eine Vielzahl in den vergangenen Jahren auch an die Kunden verkauft wurden“, beschreibt Christian ­Schepers die ­Dimensionen. Der Manager im Global Business Support in der Fragrance Division von Symrise begleitet das Projekt federführend. „Diese Daten sind ein wahrer Schatz, wenn man sie zu nutzen weiß.“

Dabei spielen die Duftrezepte höchst unterschiedliche Rollen. Manche gehören zu den „Ikonen in der Welt des Parfüms“, wie es Schepers nennt, die von Beginn immer wieder unverändert verkauft werden. Andere dagegen sind schnelllebiger. Jedes Jahr kommen alleine Hunderte neue Düfte auf den Markt, von Weihnachtseditionen bei Parfüms bis zu jahreszeitlichen Mischungen für Waschmittel oder Shampoos, für die Tausende von Entwürfen angefertigt werden müssen, um das richtige Produkt zu finden. „Unser erster Ansatz war daher, dass die Digitalisierung uns dabei helfen kann, diese immer kürzer werdenden Produktzyklen überhaupt abzudecken und die Entwicklung effizienter zu machen.“

 

Wir haben rund zwei Millionen Formeln für Duftmischungen in unserem System, von denen eine Vielzahl in den vergangenen Jahren auch an die Kunden verkauft ­wurden. Diese Daten sind ein wahrer Schatz, wenn man sie zu nutzen weiß.Christian Schepers, Manager im Global Business Support in der Fragrance Division von Symrise

Auch Rechner müssen lernen

Das Verfahren basiert auf Algorithmen, die zunächst von den Programmierern, zunehmend aber auch durch Künstliche Intelligenz gefüttert und verbessert werden sollen. IBM bekam dafür sämtliche Rezepturen ver­schlüsselt übermittelt, ohne Klarnamen der Produkte oder Rohstoffe. „Die Mischungen sind unser Kapital, dass wir nicht aus dem Haus geben wollen“, begründet Christian Schepers diesen Schritt. Die Algorithmen wurden anschließend so programmiert, dass sie – sehr vereinfacht formuliert – den Aufbau eines Duftes ­analysieren, die Anwendungsfelder, unterschiedlichen Märkte und Verkaufszahlen einbeziehen und schließlich auf dieser Grundlage neue Düfte entwerfen ­konnten.

„Wir haben so zum Beispiel den Duft für ein Waschmittel in Lateinamerika zur Frühlingszeit eingegeben. Das System hat dann auf Knopfdruck in einer Sekunde 50.000 bis 70.000 Formeln gefunden und diejenigen herausgefiltert, die die höchste Erfolgswahr­scheinlichkeit haben“, sagt Schepers. Ganz so glatt ­liefen die meisten Versuche allerdings nicht. „Die ersten Proben waren meilenweit davon entfernt, zu funktionieren. Wir haben die Algorithmen danach immer weiter verfeinert.“ Ein Duft, erinnert sich Schepers, roch zwar gut, war aber für die Verwendung in einer Duftkerze gemischt. Auch die Art der Applikation musste also einbezogen werden, ebenso wie Dutzende anderer Parameter.

Erste Meilensteine

Die ersten Produkte, die so auf den Markt kamen, waren zwei Parfüme für den brasilianischen Hersteller O Boticário, die weltweite Nummer 3 in der Branche. „Es war für uns sehr wichtig, einen so großen Partner dafür zu gewinnen, um dem innovativen Ansatz noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen“, sagt Schepers. Mit Hilfe von Philyra startete das Projekt im Januar 2018. Die marktreifen Produkte wurden auf dem World Perfumery Congress in Nizza im Juni 2018 präsentiert und gingen in Brasilien im Juni 2019 in den Verkauf. Der automatisierten Kreation gehört die Zukunft, unter anderem beim Thema regulatorische Ansprüche. Wenn etwa in einem Teil der Welt eine Zutat aus regulatorischen Gründen nicht mehr erlaubt ist, wird sie im Rezept ausgetauscht. Meistens gibt es aber keine 1:1-Alternativen. „Wir müssen dann oft mehrere ­In­gredienzien in die Formeln einbauen, um das ge­wünsch­te Ziel zu erreichen. Das ist sehr zeitaufwän­dig“, macht Christian Schepers klar. „Die Künstliche Intelligenz wird so ein Teil der Werkzeuge unserer ­Parfümeure“, sagt der Manager. „Sie können so ihre kreative Kraft, ihren Einfallsreichtum und ihre Inspi­rationen noch besser einbringen als zuvor.“